Nairobi
Mai 2014
Am Nachmittag landeten wir aus Johannesburg kommend in Nairobi. Vier Tage frei! Den Flug hatte ich angefordert, weil ich hier in Nairobi für mein Buch recherchieren wollte.
Vor dem Abflug hatten wir erfahren, dass wir nicht in unserem üblichen Crewhotel eingebucht waren, sondern im Hotel Ole-Sereni in der Nähe des Airports. Bombenanschläge wenige Tage vorher machten unsere Firma nervös und für den Fall, dass die Situation wieder einmal eskalieren würde – so wie im September zuvor – wäre eine Evakuierung zum Airport nun schneller und sicherer durchführbar gewesen. Am Nachmittag versuchte ich erfolglos, die deutsche Botschaft in Nairobi zu erreichen. Das Telefon war ständig besetzt, auf meine E-Mails kam keine Antwort. Ich wollte wissen, ob es für mich als Deutschen in diesen unruhigen Zeiten sicher war, nach Eastleigh zu gehen.
Am nächsten Morgen versuchte ich wieder, mit der Botschaft Kontakt aufzunehmen. Wieder erfolglos. Um 10 Uhr erwartete mich John, mein Fahrer, mit seinem Toyota vor dem Hotel. Ich kenne John schon seit Jahren und ich vertraue ihn. Er ist allerdings ein Schlitzohr und liebt es, den ausgehandelten Preis für seinen Service mit kuriosen Argumenten in die Höhe zu treiben.
Erste Station: Eastleigh
Eastleigh ist das Somalier-Viertel von Nairobi. Normalerweise ist es kein Problem, dorthin zu gehen. Aber erst vor einigen Tagen, genauer am 5. Mai 2014, zündeten einige somalische Selbstmordattentäter in Nairobi mehrere Bomben. Das Resultat: 6 Menschen wurden dabei getötet, und 62 weitere verletzt. Die Terroranschläge häufen sich. Erst im September wurden beim bis dahin schlimmsten Anschlag in einem Einkaufszentrum in Nairobi 68 Menschen getötet. Dieser Vorfall ging durch die Weltpresse. Hinter den Anschlägen steckte die somalische Terrorvereinigung Al-Shabaab. Diese Gruppe entführte europäische Touristen in Kenia. Das kenianische Militär rückte in Somalia ein und bekämpfte die Terrorgruppe. Seit dieser Zeit führt die Al-Shadaab Terroranschläge in Nairobi durch. Kein Wunder, dass die Ordnungshüter nervös waren. In Eastleigh war die der Polizeipräsenz deutlich spürbar. Radikale „Säuberungsaktionen“ der kenianischen Armee, bei denen innerhalb der letzten Monate hunderte von Somalis – die meisten von ihnen wohl nicht beteiligt an irgendwelchen Al-Shabaab Aktionen – verprügelt und verhaftet wurden, heizten die Stimmung auf bis zum brodelnden Siedepunkt. In YouTube findet man diesbezüglich interessante Videos. Wenn man Terror, Wut und Aggression im eigenen Land fördern will, ist diese Vorgehensweise der Regierung genau richtig.
Auf den ersten Blick schien das Leben in Eastleigh entspannt zu verlaufen. Der muslemische Einfluss war deutlich zu sehen. Ich wollte somalische Namen für mein Buch sammeln und da das Viertel ein Schauplatz in meinem Buch ist, wollte ich mir einen Eindruck von Eastleigh verschaffen.
John parkte den Toyota und ich ging in ein Café um einen Somali zu finden, den ich interviewen konnte. Der Wachmann am Eingang des Cafés war freundlich zu mir und verwies mich an einen Kellner, einen etwa 30-jähriger Somali. Nach wenigen Minuten hatte ich genügend Informationen und somalische Namen gesammelt. Ich verließ das Café und fand den Toyota verschlossen. Von John keine Spur, und so nutze ich die Zeit, um ein paar Bilder mit meinem Smartphone zu schießen. Eine Gruppe von jungen Männern, etwa dreißig Meter entfernt, lungerte in einer Straßenecke und wurde auf mich aufmerksam. Die Männer pöbelte mich lauthals an. Ich steckte mein Smartphone weg und versuchte, sie zu ignorieren. Doch die Somalis ließen nicht locker. Die aggressiven Rufe wurden lauter, die ersten Männer standen auf und liefen wild gestikulierend auf mich zu. Die Gruppendynamik setzte ein und alle Männer standen auf. Die Situation drohte zu eskalieren. Zum Glück kam John gerade aus dem Café. Er war beim Pinkeln und ich hatte ihn in dem Cafe nicht gesehen.
„John, wir müssen abhauen. Sofort!“ Wir hechteten zum Toyota und im letzen Augenblick schaffen wir es, der wütenden Gruppe zu entkommen. Wir fuhren noch für eine halbe Stunde durch das Viertel, dann hatte ich genug gesehen.
Nächste Station: Kibera
Kibera ist eines der größten Slums der Welt. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 300000 und einer Million Menschen dort leben. Da auch einige Szenen in meinem Buch in der Randlage des Slums spielen, wollte ich mir einen Eindruck verschaffen.
Die Arbeitslosenrate in Kibera beträgt bis zu 80%. Raub, Vergewaltigung, Mord, Seuchen, Krankheit … Es ist ein schlimmer Ort. Alkohol ist ein weiteres Problem. Changaa, ein hochprozentiges Methanol-Gesöff, wird in den Hütten gebrannt. Changaa ist der Schnaps für die Armen. Man kann davon blind werden, oder sterben.
Lehm und Blech ist das Baumaterial der Hütten. Die Wege – nach Regen sind es Schlammpisten, wären eine gute Teststrecke für einen Geländewagen. Schlaglöcher und Spurrillen sind so tief, dass man Feuchtbiotope daraus machen könnte, wenn sich nicht der stinkende Abfall und die Kloake darin suhlen würden. In den letzten Tagen ist zum Glück kein Regen gefallen. Nicht auszumalen, wie diese Wege nach einem heftigen Niederschlag aussehen würden.
Alle paar Meter mussten wir anhalten, um Hunden, Ziegen, Kindern, Händlern oder Menschengruppen platz zu machen.
Der Fahrzeuginnenraum bietet ein falsches Gefühl von Sicherheit. Man ist verletzlich und angreifbar. Manchmal kommen Touristen in den Slum und verteilen aus dem Fahrzeug Geld. Das ist eine noble, aber unkluge Tat. Schon oft genug wurden diese Fahrzeuge von wütenden Slumbewohnern, die nichts abbekommen hatten, verfolgt und die Insassen ausgeraubt.
John rollte mit seinem Wagen langsam durch die Schlaglöcher. Erstaunlich, was so ein Toyota alles aushält. Aus Erfahrung und aus Erzählungen wusste ich, dass auch hier in Kibera das Fotografieren nicht ungefährlich war. Die Slumbewohner reagieren oft sehr verärgert darauf. Man konnte die Anspannung, diese abwartend aggressive Haltung der Menschen spüren. So wenig wie möglich auffallen, war die beste Taktik. Die Fotos, die hier zu sehen sind, habe ich heimlich gemacht.
Wir fuhren zurück in den Randbereich von Kibera. Hier war die Straße geteert, hier konnten wir abhauen, wenn es nötig werden würde. Hier konnte ich gefahrlos Geld verteilen. Frauen, vorzugsweise mit Kleinkind, gehörten zu meiner Zielgruppe. Ich wollte Fotos von den Frauen machen und mich ein paar Minuten mit ihnen unterhalten, um Informationen für mein Buch zu bekommen. Die Frauen waren ausnahmslos misstrauisch. Aber John half mir, den Argwohn der Frauen zu nehmen. Er sprach in Suaheli zu ihnen, gewann so ihr Vertrauen. Als ich den Frauen Geld gab, waren sie glücklich. Wie einfach es doch sein kann, Freude zu erzeugen.
Letzte Station: Flughafen
Wir machten uns auf den Weg zum Airport. Der Verkehr in Nairobi ist schwierig zu beschreiben. Von rücksichtsvoller Fahrkultur ist hier wenig zu spüren. Und immer wieder Staus. Die Luft war geschwängert von Abgasen. Eine Klimaanlage gab es nicht in Johns Toyota und wir hatten die Fenster meistens geöffnet um nicht zu ersticken.
Die Nachmittagssonne brannte aufs Autodach. Der Gestank von Ausdünstugnen, Jauchegestank, Rauch und Schweiß vermischte sich zu einem zähen Wolkenbrei. Mein Hemd klebte auf meiner Haut. Irgendwann hatten wir den Stadtverkehr hinter uns gelassen und wir waren im nordöstlichen Gebiet außerhalb des Airports.
„Wir dürfen hier nicht fahren“, monierte John besorgt.
„Wieso nicht?“
„Sperrgebiet. Nicht öffentlich.“
„Ich habe kein Verbotsschild gesehen.“
„Aber jeder aus Nairobi weiß, dass man hier nichts zu suchen hat. Dieses Gebiet wird von der Armee überwacht.“
Von meiner deutschen Arroganz geblendet, verstand ich die Warnung nicht. „John, ich bezahle dich gut. Fahr weiter.“
„Wir werden Schwierigkeiten bekommen.“
„Dann spreche ich einfach den nächsten Soldaten an und erkläre ihm unsere Absicht.“
Ich sollte schnell feststellen, dass es naiv und falsch war, von einer europäischen Mentalität auszugehen. Nach einigen Minuten passierten wir den ersten Wachturm. Der bewaffnete Soldat schaute uns kritisch hinterher. Weitere fünf Minuten später ein Wachhäuschen, diesmal mit zwei Soldaten. John war sichtlich nervös, ich inzwischen auch. Ich besänftigte John: „Fahr zu den beiden Soldaten hin. Ich werde mit ihnen reden.“
Ich stieg aus dem Wagen, die beiden Soldaten beobachteten mich mit grimmigen Gesichtern. Als ich mich vorstellen wollte, unterbrach mich der kleinere der Soldaten. „Stopp! Ich bringe euch jetzt zum Offizier“
Ich musste wieder in den Toyota einsteigen, der Soldat setzte sich mit seiner Waffe, einem G-3 Gewehr, der ehemaligen Standardwaffe der Bundeswehr, auf den Beifahrersitz. Während der Fahrt zu einem flachen, großem Gebäude telefonierte der Soldat mit seinem Offizier.
Als wir ankamen, wartete der Offizier bereits mit einer Kalaschnikow in seinen Händen auf uns. John und ich mussten aussteigen, unsere Handflächen nach vorne drehen.
„IDENTIFICATION“ bellte mich der Offizier an. Ich reichte ihm meinen Crew-Ausweis. Er schaute ihn sich prüfend an und schüttelte den Kopf. „OFFICIAL PASSPORT “ Im gleichen Ton wie zuvor.
„Tut mir leid, ich habe nur diesen Ausweis dabei.“
„Das ist militärisches Sperrgebiet. Ihr seid verhaftet.“
„Aber ich bin doch …“
„Was suchst du hier?“, brüllte mich der Offizier an.
„Ich bin Autor und mein Buch handelt von einem Anschlag durch Terroristen.“ Während ich dieses Worte sprach, wurde mir bewusst, wie bescheuert ich war. Bombenanschläge waren zu dieser Zeit in Nairobi an der Tagesordnung.
Der Wachsoldat trat einen Schritt zur Seite, entsicherte sein Gewehr und legte es auf mich an. Ich versuchte, mich weiter zu erklären. „Shut up!“, schrie der Offizier aggressiv. Ihm schienen die Nerven durchzugehen. Auch er hielt nun seine Kalaschnikow auf John und mich gerichtet. Ich konnte die Ausdünstungen der Kenianer riechen, es roch auch nach Waffenöl. Schweiß lief über mein Gesicht. Noch nie hatte ich so eine aggressive Atmosphäre erlebt. Ich rechnete damit, erschossen zu werden. Die Soldaten hielten ihre Gewehr in den Hüften, mit dem Finger am Abzug. Es waren die Sekunden, die ich nie wieder in meinem Leben vergessen werde. Aus einer Mischung von Arroganz und Dummheit hatte ich John überredet, in dieses Sperrgebiet zu fahren. Und nun fürchte ich um unser Leben.
Der Offizier wendete sich zu John. Er herrschte ihn im harten Ton an, in Suaheli, der Landessprache. Dann sprach John leise zu mir. „Er will Geld.
Ich fühlte mich erleichtert. „Wie viel?“
„Er will wissen, wie viel du bei dir hast.“
Ich griff in meine Hosentasche und zog ein Geldbündel heraus.
„5000 Kenia Schilling.“ Das waren etwa 40 Euro. Dass ich in den anderen Hosentaschen weitere Geldscheine hatte, sagte ich nicht.
Der Wachsoldat senkte seine Waffe, ging einen Schritt auf mich zu und riss mir das Geld aus der Hand und reichte es seinem Offizier.
„Verschwindet!“, brüllte uns der Offizier an. Wir stiegen ins Auto, der Wachsoldat setzte sich wieder auf den Beifahrersitz. Wenige Minuten später setzen wir ihn an seinem Wachhäuschen ab und weitere fünf Minuten später fuhren wir wieder auf der offiziellen Straße. Eine halbe Stunde setze mich John vor dem Hotel ab.
Es war ein ereignisreicher Tag. Müde, verschwitzt und hungrig setzte ich mich an den Schreibtisch und öffnete meinen Computer. Eine E-Mail von der deutschen Botschaft. Auf gar keinen Fall sollte ich nach Eastleigh gehen.